Fetisch Computer
"Aufgeweckte junge Männer mit heruntergekommenem Äußeren, oftmals
mit eingefallenen und glühenden Augen, sieht man vor Computerkonsolen, ihre
Arme angespannt und wartend, ihre Finger, die bereit sind für einen Angriff,
abzufeuern auf die Knöpfe und Schalter, auf die ihre Aufmerksamkeit gerichtet
ist wie die eines Spielers auf die Würfel.[...] Das sind Computerfetischisten,
zwanghafte Programmierer..."
Weizenbaum, Computer Power and Human Reason [4]

Die Magie des Computers
"Das ist das Großartige mit der Programmierung, ihre Magie..."
Peter Samson [4]
"Wie Aladins Lampe erfüllte es einem die Wünsche."
[4]
Der Fetisch ist ein "mit magischer Kraft erfüllter Gegenstand"
,
ein "Götzenbild"
[4].
Der Begriff stammt vom Portugiesischen "Zauber" und dem lateinischen "künstlich
gemacht" [2].
Er ist laut Definition "ein lebloser Gegenstand, dem übernatürliche
Kräfte zugeschrieben werden und der religiös oder magisch verehrt
wird"
[2].
Weiterhin kann der Fetisch als "Verkörperung oder Behausung eines Geistes"
[3] angesehen werden.
Die Deklaration eines Objektes wie dem Computer als Fetisch ist etwas durchaus Subjektives. Für die einen ein lebloses Gerät, und für den Eingeweihten die beseelte Maschine. Es lassen sich die beiden Gruppen Computerunwissende (Illiterat) und Computerwissende oder auch Hacker (Illuminat) einteilen. Bei allen Halbwissenden ist zumindest wohl Respekt oder sogar Angst zu verzeichnen. Der Hacker also ist der Fetischist, der die Magie des Gegenstandes sieht; oder auch erweckt (wie bei Aladins Lampe), durch Erbauen des Computers (der Techniker und seine Hardware) oder durch Schreiben des Programms (der Programmierer und seine Software).
Dale Peterson beschreibt:
"Große Maschinen können große Schönheit ausdrücken. 1900 befand sich
Henry Adams [...] neben einem 40-Fuß Dynamo auf der Großen Ausstellung in
Chicago und entschied (insoweit ihm eine Entscheidung möglich war), daß
die Macht des Dynamos äquivalent zu der moralischen Kraft war, welche die
großen mittelalterlichen Kathedralen baute. Der Dynamo erweckte solche Furcht
und Faszination in Adams, [...] daß er entschied, die Maschine selbst sei
eine neuzeitliche Kathedrale."
[6]
Technolust: In der amerikanischen Computer-zeitschrift
Wired gibt es eine monatliche Kolumne mit Hardwareneuigkeiten. Sie heißt
"Fetish"
.
[5]
Joseph Weizenbaum, Computerkritiker, erklärt sich die im Anfangszitat
herangeführten Computerfetischisten *
als Außenstehender, wie ein Atheist wohl mönchische Meditation als sinnlos
ansieht. Doch Computer können für Eingeweihte oder Gläubige eben eine Religion
bedeuten. Der "Gegenstand, der religiös verehrt wird"
. Umberto
Eco schreibt in einem humoristischem Essay von seiner These, daß "Macintosh
katholisch und MS-DOS protestantisch ist"
, die er dann noch detailliert
erläutert7. In seinem Fotoessay betitelt Thomas Brenner: "Die Religion
ist tot, nicht erst seit Nietzsche, jetzt aber wird eine neue Gottheit geboren.
Sie heißt Multimedia, ihr Hohepriester ist ein Multimilliardär namens Bill
Gates, und willig opfert sich die Menschheit auf seinem Altar."
[8]
Die religiöse Verehrung des Fetisch
"Wie der Himmel die Erde beeinflußt, durch Götter oder kosmische Rhythmen,
so beeinflußte der Computer den Alltag der Welt."
[10]

"[...] hierarchische Organisationen, an deren Spitze der Hohepriester
und der König standen. Diese Voraussetzungen sind noch heute gültig, obgleich
die Existenz automatischer Fabriken und computergesteuerter Einheiten sowohl
die menschlichen Komponenten als auch die religiöse Ideologie verschleiert,
die auch für die Automation lebenswichtig ist. [...] Geheimes Wissen ist
der Schlüssel zu jedem System totaler Herrschaft.[...] Heute hat die Sprache
der höheren Mathematik plus Computertechnik das Geheimnis wie auch das Monopol
wiederhergestellt, mit einer daraus folgenden Wiedererrichtung totalitärer
Kontrolle."
[12]
Ein von den Hohepriestern bewachtes und von den Meßdienern verehrtes Relikt vergangener Tage: An der Harvard Universität Cambridge, im MIT (Massachusetts Institute of Technology) begann wohl der Computerfetischismus. Die Geschichte der Rechenmaschine (vom Abakus über Pascal, Leibniz, Babbage [18]) hat Tradition und der Computer ist geboren. Noch unnahbar, ein Götzenbild, das sich aus der Ferne betrachten läßt. Doch am MIT läßt es bald den Personal Computer (PC) ahnen, denn diese Meßdiener (Acolytes4) werden von ihrer Hingabe herangetrieben, Wunder zu vollbringen. Sie beseelen eine einstige Militärmaschine und geben einem Number Cruncher (Zahlenfresser) die Gabe zu musizieren und zu spielen. Für die Navigation des ersten Computerspiels Spacewar wird alsbald ein Joystick (in etwa: Freudenstab, Konstrukt zur Spielsteuerung) entwickelt.
"Es gibt im Computerbereich so etwas Ähnliches wie Geheimformeln,
mit denen sie Dinge erreichen, von denen nur die Eingeweihten wissen. So
existieren WINDOWS-Befehle, die nie veröffentlicht wurden, weil sie zu gefährlich
sind. Schwarze Magie! Doch Eingeweihte, sprich Computer-Hacker, haben diese
Befehle herausgefunden und sogar veröffentlicht. Verrat! Die bösen Dämonen,
die diese Verräter bestrafen, heißen aber nicht mehr Beelzebub und Baphomet
([...] Teufel), sondern verstecken sich hinter Anwälten und Richtern, die
diesen Frevel unserer Zeit gemäß ahnden - durch Geldstrafen."
[9]
Es ist jenes Erlernen von technischen Fähigkeiten, die der Beherrschung eines magischen Wissens gleich steht. Der Computer ist der magische Gegenstand, der Zauberstab, die Wunderlampe, der Fetisch.
Die erotische Beziehung zu einem Computer
Mit der Programmierung der Megamaschine wird der Gottesstatus erreicht,
die Omnipotenz: auch eine Art von erotischem Fetisch. Eine stark gefühlsmäßige
Bindung und das Verlangen nach Macht. Tatsächlich verarmt der fanatische
Programmierer in seinen sozialen Beziehungen, oder andersherum besteht die
virtuelle Welt als Kompensation realen Verlustes*, "die Krankheit
[vieler MIT-Wissenschaftler] ist sozialer Natur"
[20] (jene "weitverbreitete Vorstellung
von der Asexualität der Computer People"
[10]).
Die Metapher einer Religion (die Paßworteingabe als Initiationsritus),
aber auch der erotische Aspekt des Fetisch findet sich in einem Roman von
Umberto Eco. Ich-Erzähler Casaubon verzweifelt über die simple Frage des
Computers Abulafia: "Hast du das Paßwort?"
:
"Und was bitte war Abulafia mit seiner geheimen Reserve an files?
Der Schrein all dessen, was Belbo wußte oder zu wissen glaubte, seine Sophia.
Jawohl, er wählt sich einen geheimen Namen, um in die Tiefen Abulafias einzudringen,
in das Objekt, mit dem er Liebe macht (das Einzige), doch während er mit
ihm Liebe macht, denkt er zugleich an Lorenza, er sucht nach einem Wort,
das Abulafia überzeugt, aber das Zugleich ihm selbst als Talisman dient
[...]"
[13]
Das "Einswerden", die symbiotische Verbindung mit dem Computer bei der
Programmierung in Maschinensprache (oder Assembly language) als Offenbarung
und transzendentales kosmisches Gefühl. Wie eine buddhistische Aufhebung
zwischen Subjekt und Objekt: "Ich konnte auf Vermittlung verzichten
und mit der Maschine direkt reden. Ich fand es großartig, diese Geheimsprachen
zu lernen. Ich konnte wie IBM mit dem lieben Gott selbst reden."
(Alsing [11])
Sherry Turkle am MIT erkundet die psychologischen Vorgänge, der Computer
als das "Zweite Ich"
[20]
*.
Ein Benutzer der Maschinensprache (Arthur): "Diese Art des Programmierens
ist echt scharf, ein richtiger Sex-Trip."
[20]
"Diese Faktoren der Interaktivität und Flucht veranlaßten Spieler zu einem Vergleich von [Computer-]Spielen zu Sport, Sex, oder Meditation [...]"[19]
Ein Computer für Menschen
"Für Lee [Felsenstein] waren [die Hacker] technologische Jesuiten.
Unberührt ließ ihn die hohe Magie die sie schufen, und die in Gottesnähe
erhobenen Zauberer, die sie verehrten. Was war mit den Menschen?"
[4]
Ein Fetisch impliziert wohl Verklärung. Als Wozniaks und Jobs' Erfindung des Apple in den frühen 80er Jahren seinen Siegeszug als freundlicher Computer antrat, machte ihn eben dieses demystifizierende Element so beliebt. Keine Geheimsprache, sondern eine GUI (Graphical User Interface), die heute selbstverständliche graphische, mausgesteuerte und benutzerfreundlichere Computeroberfläche. Doch hat der Apple auch deswegen überlebt, weil er im Konkurrenzkampf gegen den C64 und Atari durch einen hohen Preis ein exklusives Image bewahrte - eben nicht sehr volksnah. Ein Statussymbol, und wohl auch ein Fetisch. Und während der Apple in den 90er Jahren nun langsam abtritt, sind wir wieder bei religiöser Verehrung angelangt: dem Märtyrertum.
In der Wired Ausgabe im Juni 1997 wird Apple ironisch eine neue Werbekampagne zur Unternehmensrettung vorgeschlagen: Sie sollen ihr neues Betriebssystem in Eden umbenennen und eine Anzeigenkampagne kreieren, welche den Glauben an den Satan in Redmond (Bill Gates' Microsoft) bestärkt. *
Wired Cover: Unter dem Apple-Computer Symbol, das
mit Dornenkranz und Heiligenschein bestückt ist, die eindeutige Aufforderung:
Pray
, bete.
"Bill, thank you. The world's a better place."[14]
Der beseelte Fetisch

Das Attribut des dem Fetisch innewohnenden Geistes, oder auch die Verkörperung der Seele. Leicht ergibt sich aus einem rationalen oder prädeterministischen Weltbild die Analogie von Gehirn und Computerprogramm. Gleichwohl der Forschungszweig der Künstlichen Intelligenz (oder Artificial Intelligence) wohl kaum einen Grund für übersteigerten Optimismus hat, denn die Voraussagen der Pioniere (Dartmouth 1956 [15]) haben sich nicht erfüllt. Doch wäre wohl ein mit menschlicher Intelligenz versehener Computer der erste wirklich beseelte Fetisch.
Samuel Butler in Erewhon: "Es gibt keinen wirksamen Mechanismus
gegen die ultimative Entwicklung mechanischen Bewußtseins, ungeachtet der
Tatsache, daß Maschinen heute nur sehr wenig davon besitzen."
[16]
Und wenn dann bald der Kunstmensch geschaffen wird, doch schon wieder mehr als ein Fetisch, wird er ethische Fragen über seine Beherrschbarkeit aufwerfen. Vielleicht wird er aufsässig, wie es sich abzeichnet in zahlreichen populärwissenschaftlichen Fiktionen *:
"Roboter verweigern den Gehorsam und rebellieren gegen ihre Herren
und Meister."
[17]
"Die Leute reden immer davon, daß sie den Computern den Stecker rausziehen werden, als würden sie damit die höchste moralische Handlung begehen. [...] Kein Bewußtsein ohne Verpflichtung, ohne die moralische Verpflichtung der Menschen gegenüber dem Leben, das wir erschaffen haben."[20]
Textquellen:
- Der Große Duden - Fremdwörterbuch (1966)
- dtv-Lexikon, Band 6 (1978)
- Webster's Encyclopedic Unabridged Dictionary (1983)
- Steven Levy: Hackers - Heroes of the Computer Revolution (1984)
- Wired (5/1997)
- Dale Peterson: Genesis II - Creation and Recreation with the Computer (1983)
- Spiegel Special - Abenteuer Computer (3/1995)
- Spiegel Special - Schicksal Computer: Die Multimedia-Zukunft (3/1996)
- P.M. Magazin
- Seesslen/ Rost: Pac Man & CO (1984)
- Tracy Kidder: Die Seele einer neuen Maschine (1981)
- Lewis Mumford: Mythos der Maschine (1974)
- Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel (1989)
- Time (18/8/1997)
- Stephanie Sand: Künstliche Intelligenz (1986)
- John Sladek: Robot Roderick (1982)
- Isaac Asimov: Ich, der Robot (1991)
- Time-Life: Grundlagen der Computertechnik (1986)
- http://instruct.comm.cornell.edu
- Sherry Turkle: Die Wunschmaschine (1984)
Bildvorlagen aus:
- Oskar Jursa: Kybernetik (1971)
- Walter R. Fuchs: Knaurs Buch der Denkmaschinen (1968)